Mapping Memories

Erinnerungen verorten.

Dicker Turm

Der Dicke Turm im Unteren Schloss ist einer der bedeutsamsten Erinnerungsorte in der Stadt Siegen.

Seit 1950 ist der Opfer des Zweiten Weltkriegs am 16. Dezember, dem Tag des verheerenden Bombenangriffs auf die Stadt, nach der Kranzniederlegung auf dem großen Gräberfeld des Hermelsbacher Friedhofs mit einer Gedenkveranstaltung auf dem Marktplatz gedacht worden.

Der zehnte Jahrestag 1954 wurde letztmals am Marktplatz begangen, verbunden mit anschließendem Gottesdienst in der wieder aufgebauten Nikolaikirche.

Am 16.12.1955 fand das Gedenken dann erstmals am Dicken Turm statt. Dabei wurde das Glockenspiel mit der Melodie des Soldatenliedes „Ich hatt einen Kameraden“ als erster Teil der dort geplanten Gedenkstätte eingeweiht.

1956 wurde nicht erneut Ernst Bach (CDU), sondern mit Erich Pachnicke erstmals ein Sozialdemokrat zum Oberbürgermeister gewählt. Das lag an der Gesamtdeutschen Volkspartei, die vor dem Hintergrund der „Kampf-dem-Atomtod“-Bewegung als protestantisch-pazifistische Partei drei Ratsmandate gewonnen hatte.

Als SPD und GVP im Mai 1958 im Stadtrat den Antrag „Keinen Siegener Boden für Raketenbasen!“ auf die Tagesordnung setzten, stimmten 18 Stadtverordnete dafür und nur 12 dagegen.

Diese pazifistische Grundstimmung wirkte bei der endgültigen Einweihung des Dicken Turms als Gedenkstätte am 16. Dezember 1959 noch nach. Für den einen Teil der Bürgerschaft war die Gedenkstätte das „Siegener Friedensmahnmal“, für den anderen Teil war sie ganz allgemein „Den Opfern von Krieg und Gewalt“ gewidmet.

Die pazifistische Sinnstiftung der Gedenkstätte hatte nicht lange Bestand. Der Veteranenverband „Kameradschaft ehemaliger 57er“ brachte 1960 am Dicken Turm zwei Gedenktafeln für die im Ersten und Zweiten Weltkrieg mit Siegen verbundenen Infanterie-Regimenter an – passend zum Glockenspiel „Ich hatt einen Kameraden“ und unter Anwesenheit von Oberbürgermeister Pachnicke und seinem Amtsvorgänger Alfred Fißmer, seit 1953 Ehrenbürger der Stadt Siegen.

Die 1959 gegründete Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland sorgte dafür, dass die Namen der 73 damals bekannten jüdischen Opfer 1963 offiziell in das Gedenkbuch der Stadt Siegen aufgenommen wurden.

Parallel zu dem nur von einigen Dutzend Siegener Bürgerinnen und Bürgern besuchten offiziellen Gedenken an die „Opfer von Krieg und Gewalt“ am Dicken Turm nahmen mit Herausbildung der Friedensbewegung und den Siegener Friedenswochen seit 1981 anfangs bis zu 5.000 Menschen an Fackelzügen zum 16. Dezember teil.

Ab den 1990er Jahren richteten sich die Friedens- und Schweigezüge zunehmend auch gegen das Erstarken des Rechtsextremismus.

Die erst 1987 im Gedenkraum hinzu gekommene, explizit an die Opfer des Nationalsozialismus erinnernde Gedenktafel ist 1998 außen am Dicken Turm angebracht worden.

O-Ton WDR-Bericht: „Siegens Bürgermeister Karl-Wilhelm Kirchhöfer und Stadtdirektor Ulrich Mock legten heute unter reger Anteilnahme der Bevölkerung einen Kranz nieder. Mit einer Schweigeminute ehrten die Bürger die Toten am Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewalt im Dicken Turm des Unteren Schlosses. Da die Gedenkstätte nicht immer zugänglich ist, fordert die Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Friedensbewegung eine weitere Mahn- und Gedenkstätte einzurichten.“

Seit 2007 spielt das Glockenspiel statt dem Soldatenlied „Ich hatt einen Kameraden“ einen Trauerchoral.
Als 2008 eine rechtsextreme Gruppierung den Versuch unternahm, den 16. Dezember für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, formierte sich dagegen ein breites Bündnis:

O-Ton WDR-Bericht: „Über 2000 Menschen sind dem Aufruf des Bündnisses Siegen für Demokratie gefolgt, mehr als doppelt so viele wie erwartet. Alle demokratischen Parteien und viele Verbände hatten sich zusammengeschlossen, um den Demonstrationszug zu organisieren. Auch die Stadt Siegen gehört dazu.“

O-Ton Bürgermeister: „Der 16. Dezember ist ein ganz besonderes Datum in der Geschichte der Stadt Siegen und es ist nicht gut, wenn Rechtsextremisten versuchen, diesen Tag zu missbrauchen für Geschichtsfälschung und für besondere Kundgebungen, um Menschen zu manipulieren.“

Danach hat das „Geh-Denken“ über viele Jahre den 16. Dezember bestimmt:

O-Ton WDR-Bericht: „Am Unteren Schloss wurde dazu ein Kranz niedergelegt. Er soll an die Opfer erinnern. Für eine Gedenkminute kehrte Stille auch auf dem benachbarten Weihnachtsmarkt ein. Anschließend erinnerten an 15 historischen Orten im gesamten Stadtgebiet Vereine, Verbände und die Stadt an die Verbrechen der Nationalsozialisten in Siegen. So steht ein Informationsstand dort, wo das Braune Haus stand. Hier waren die Dienststellen der NSDAP, SA und SS.“

Heute ist das aktive Gedenken am 16. Dezember wichtiger als je zuvor.

O-Ton WDR-Bericht: „Schönen guten Abend. Die Welle der bundesweiten Demonstrationen für Demokratie ist natürlich auch nach Südwestfalen geschwappt. Wir haben ja schon einige Kundgebungen erlebt. Die größte bislang gerade jetzt in diesem Minuten in Siegen-Weidenau am Bismarckplatz. – Ihre Antwort gegen den gleichzeitig stattfindenden Neujahrsempfang der AFD Siegen-Wittgenstein nur ein paar Meter weiter.“
Bis heute ist der Dicke Turm die zentrale Gedenkstätte für die Opfer des 1. und 2. Weltkriegs und des 16. Dezember 1944.


Idee, Konzept, Drehbuch, technische Ausführung: Dieter Pfau

Sprecher: Torsten Föllmer, Sprachaufnahmen: Marcel Barion

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