Mapping Memories

Erinnerungen verorten.

Marktplatz Geisweid

Der Marktplatz in Siegen-Geisweid gehört zu den Orten der Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs. Wenige Tage vor Kriegsende war er Schauplatz eines grausamen Verbrechens. Amerikanische und britische Kampfverbände waren an der Sieg vorgerückt und hatten die südöstlich gelegenen Stadtteile Siegens am 2. April besetzt. Die Zivilbevölkerung suchte Schutz in Bunkern und Stollen und wartete auf das Ende der Kampfhandlungen. Dabei gab es mehrmals Zwischenfälle beim Hissen weißer Fahnen.

Bruno Kneppe (2005): Und die letzten Tage im Stollen, wenn ich das noch so sagen darf, von einem jungen Leutnant … der wollte uns den Stollen zuschießen, weil wir die weiße Flagge … nicht die weiße Flagge, sondern weiße Betttücher vor den Stollen gelegt hatten. Und er hat es wahr gemacht, mit der Batterie einen Schuß loszujagen und ein Mann im Alter von, ich weiß nicht, 45 oder 48 Jahren, der hat den Arm dadurch verloren.

Auch in Weidenau in der Grube „Neue Haardt“ waren zahlreiche Zivilisten untergebracht. Verantwortlich für den Stollen war der 55-jährige Obersteiger Ignaz Bruck. Als die dort kämpfenden deutschen Soldaten am frühen Morgen des 3. April 1945 eine weiße Fahne sahen, nahmen sie Ignaz Bruck fest und befahlen Männern des ‚Volkssturms‘, ihn zum Bataillonsgefechtsstand am Marktplatz in Klafeld zu bringen. Auf dem Weg dorthin wurde Bruck durch einen Schuss in die Nierengegend schwer verletzt und von seinen Bewachern misshandelt.

Am Gefechtsstand in Klafeld wurde Bruck gegen 9 Uhr morgens vom dortigen Befehlshaber an den Volkssturmmann Friedrich Jäger übergeben. Jäger führte den schon sehr geschwächten Ignaz Bruck mit einem Gehilfen zu der Eiche am Marktplatz und ließ aus der benachbarten Gastwirtschaft einen Tisch herbeibringen.

Er half Bruck auf den Tisch, legte ihm ein Stück Fernsprechkabel als Schlinge um den Hals und zog dann mit einem Ruck den Tisch zur Seite. Der Draht riss und das Opfer stürzte stöhnend zu Boden.
Daraufhin ergriff Jäger einen Karabiner und schoss damit auf Schulter und Rücken. Da Bruck auch das überlebte, schoss Jäger ihn mit seiner Pistole drei bis vier Mal in die Brust. Der Volkssturm befestigte am Baum, unter dem der Leichnam lag, ein Schild mit der Aufschrift: „So geht es jedem Volksverräter“. Das Schild wurde erst vierzig Stunden später entfernt.

Noch am selben Tag ließ seine Witwe Frieda Bruck einen Totenbrief drucken, auf dem zu lesen stand: „Er starb durch Mörderhand“. In der am 25. April 1945 ausgefertigten Todesanzeige ist zu lesen: „Vom deutschen Militärstandgericht erschossen“.

Der Mord an Ignaz Bruck ist im Mai 1951 vor dem Schwurgericht in Siegen verhandelt worden. Das Gericht verurteilte Friedrich Jäger wegen Totschlags zu zehn Jahren Zuchthaus, wobei 2 Jahre und 6 Monate Untersuchungshaft angerechnet wurden.

Als die Stadt Hüttental 1969 für die Opfer des Krieges ein Gedenkbuch anlegte, nahm der aus Hüttental stammende Wilhelm Fries Kontakt zu den Nachfahren von Ignaz Bruck auf. Daraufhin ist in dem Gedenkbuch und in einzelnen Vorträgen mehrmals an das Schicksal von Ignaz Bruck erinnert worden.

In der Ausstellung „Kriegsende 1945 in Siegen“ anlässlich des 60-jährigen Gedenkens 2005 wurde das Verbrechen am Klafelder Marktplatz erstmals einer größeren Öffentlichkeit in Erinnerung gebracht.

O-Ton Lokalzeit Südwestfalen (2005): Die NS-Zeit soll nicht vergessen werden. Mit Schautafeln und Bildern dokumentiert die Ausstellung die Geschichte der Stadt Siegen und ihrer Umgebung von Stalingrad bis zur Währungsreform. 500 Besucher kamen am letzten Wochenende. Eine starke Zwischenbilanz, sagen die Macher der Ausstellung.

Noch im selben Jahr ergriff die mittlerweile in Klafeld lebende Tochter von Wilhelm Fries, Traute Fries, im Rat der Stadt Siegen die Initiative für die Erstellung einer Gedenktafel für Ignaz Bruck am Ort des Verbrechens. Die Gedenktafel ist am 8. November 2006 auf dem Gedenkstein am Klafelder Markt unter Beteiligung der Enkel von Ignaz Bruck enthüllt worden.


Idee, Konzept, Drehbuch, technische Ausführung: Dieter Pfau

Sprecher: Torsten Föllmer, Sprachaufnahmen: Marcel Barion

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