von Max Worbes


Die jüdische Familie stammte aus Lenhausen bei Finnentrop im Kreis Olpe. Die neue Eisenbahnverbindung mit dem Ruhrgebiet machte Siegen wirtschaftlich attraktiver. Deshalb zogen von dort ab 1861 mehrere jüdische Familien ins Siegener Kreisgebiet. Samuels Vater Selig Frank nahm 1870/71 am Krieg gegen Frankreich teil, und war später ein Mitbegründer des Weidenauer Kriegervereins „Auf den Hütten“. Diesem Verein trat später auch Samuel bei.
Am 11. Februar 1912 heirateten Samuel und Paula. Am 28. Februar desselben Jahres bekamen sie ihr erstes Kind Ruth. Von 1914 bis 1918 nahmen Samuel Frank und seine Brüder am ersten Weltkrieg teil. In dieser Zeit wurde am 23. Januar 1916 auch das zweite Kind des Paares, Manfred, geboren.
Wie viele Menschen im nationalkonservativ-geprägten Siegerland war auch Samuel Frank deutscher Patriot. Sein Engagement im Weidenauer Kriegerverein sowie im örtlichen Heimatverein prägten sein starkes National- und Heimatbewusstsein. Vielleicht stand Samuel Frank auch selbst dem nationalkonservativen Lager nahe, und war der Monarchie gegenüber loyal eingestellt.

Nach der Rückkehr aus dem Krieg übernahm Samuel zusammen mit Paula das Manufakturwarengeschäft seiner Eltern in der Unteren Friedrichsstraße 8. Die Familie bezog ihre Wohnung in der oberen Etage desselben Hauses.
In dieser Zeit machte sich in der neu gegründeten Weimarer Republik eine antisemitische Stimmung bemerkbar. Viele Menschen gaben zu Unrecht den jüdischen Bürger:innen eine Mitschuld an der Kriegsniederlage und den damit verbundenen wirtschaftlichen Missständen. Begründet wurden diese Anfeindungen in einer Erzählung rechtsnationaler Gruppierungen, laut denen demokratische Kräfte zusammen mit “den Juden” auf eine Kriegsniederlage Deutschlands hingearbeitet hätten. Die Oberste Heeresleitung unterstützte diese als “Dolchstoßlegende” bekannte Behauptungen, gleichwohl sie jeder Wahrheit entbehrten. Im Januar 1919, nur ein paar Monate nach Kriegsende, tauchten in Siegen antisemitische Flugblätter auf mit der Aufschrift „Überall grinst ihr Gesicht, nur im Schützengraben nicht“. Dies veranlasste den Lehrer und Kantor der jüdischen Gemeinde, Simon Grünewald, zu einer Gegendarstellung in der Siegener Zeitung, in der er auf die acht Männer seiner Gemeinde verwies, die im Krieg getötet wurden. Zu den zahlreichen jüdischen Gefallenen des Krieges gehörte auch Samuel Franks Bruder Max, der am 8. Juni 1918 in einem Feldlazarett in Frankreich einer Verwundung erlag.
Solchen Anfeindungen zum Trotz war das Geschäft der Franks sehr beliebt. So erinnert sich eine Klassenkameradin von Inge: „Meine Mutter kaufte – wie alle Weidenauer – gerne bei Samuel Frank ein. Abends kamen dort manchmal Frauen zusammen, die sagten: ‚Ich brauche noch dies und jenes, aber ich kann es nicht bezahlen!‘ ‚Nehmt die Sachen mit!‘ sagte dann Samuel Frank. ‚Ich schreibe alles auf, und wenn wieder Geld da ist, kommt und bezahlt!‘”


Am 23. Januar 1922 wurde den Franks mit ihrer jüngsten Tochter Inge das dritte Kind geboren. Die Geschwister Frank besuchten in den ersten vier Schuljahren die Friedrichschule in Weidenau. Die älteste Tochter Ruth besuchte danach das Mädchenlyzeum in Siegen, das sie allerdings ohne Abschluss verließ.

© Sammlung Familie Fries / AMS
Manfred Frank besuchte nach der Grundschule die Volksschule in Weidenau, und machte danach eine Lehre bei seinem Onkel Hermann in Köln, der dort Mitinhaber einer Konservenfabrik war. Nach der Lehre arbeitete er im Manufakturwarengeschäft seiner Eltern. Der Nachbar und Freund der Familie, Wilhelm Fries, beschreibt Manfred als einen sorglosen und lebhaften jungen Mann. Er pflegte mit gleichaltrigen Jungen aus der Nachbarschaft eine gute Freundschaft und besuchte gerne Lokale. Dies fiel in die Zeit, in der die Nationalsozialisten bereits die Macht in Deutschland übernommen hatten, und war für Manfred nicht ohne Risiko. Wilhelm Fries erzählt rückschauend: “Ich musste ihn manchmal warnen. Der Junge war völlig sorglos, er schätzte die politische Lage falsch ein, d.h. sie kümmerte ihn kaum! Gern verkehrte er abends mit Freunden in der Gastwirtschaft Hoppensack. Das war auch das Stammlokal von Kreisleiter Preußer und den anderen Nazis.”

Inge Frank galt bei ihren Klassenkameradinnen als freundliches und eher zurückhaltendes Mädchen, das gerne und viel las.

Ruth heiratete am 23. Februar 1934 den jüdischen Kaufmann Herbert Frankenstein aus Solingen. Es gelang dem Paar 1938 gemeinsam in die Vereinigten Staaten auszuwandern, wo sie 1940 ihre Tochter Susan und 1944 ihren Sohn Morton bekamen.

Am 1. April 1933 ordneten die Nationalsozialisten den sogenannten „Judenboykott“ an. Ziel war es, jüdische Gewerbe zu boykottieren, um die jüdischen Bürger:innen in ganz Deutschland wirtschaftlich zu ruinieren. Da dieser Tag jedoch auf einen Samstag fiel, der im jüdischen Kalender als Ruhetag gilt, waren viele jüdische Geschäfte auch im Siegerland an diesem Tag ohnehin geschlossen. Nicht jedoch das Manufakturwarengeschäft der Franks, das wie gewöhnlich auch samstags geöffnet hatte. Trotz des Boykotts verlief der Tag für das Geschäft ohne besondere Störungen durch die SA oder andere NS-Funktionäre. Dies veranlasste Samuel Frank dazu, trotz aller Umstände etwas Optimismus zu wagen. So soll er gesagt haben: „Ich bin doch Weidenauer, die werden mir hier nichts tun!“. Der zunehmenden Ausgrenzung zum Trotz behielt Samuel Frank seine Heimatverbundenheit.
Die Hoffnungen auf baldige Besserungen zerschlugen sich jedoch spätestens am 9. November 1938, als in ganz Deutschland Synagogen und andere jüdische Einrichtungen einer Welle von Vandalismus und Brandstiftung zum Opfer fielen; so auch die Synagoge in Siegen. Samuel und sein Sohn Manfred wurden bereits am Morgen des 9. Novembers verhaftet, und zusammen mit vielen anderen jüdischen Männern der Gemeinde in Siegen auf der Polizeiwache interniert. Am 10. November in der Mittagszeit brachen Männer der SA und SS in die Synagoge ein, schichteten die Einrichtung auf einen Haufen und setzten sie in Brand. Die Synagoge, die seit 1904 der Gemeinde als Gotteshaus gedient hatte, brannte vor einer versammelten Menge aus Schaulustigen nieder. Samuel und sein Sohn Manfred, wie auch die anderen Siegener Juden, erfuhren von der Zerstörung im Gefängnis. Am Nachmittag des 10. Novembers wurden Samuel und Manfred Frank über Dortmund in das Konzentrationslager Sachsenhausen nördlich von Berlin deportiert und dort für zwei Wochen festgehalten.

Nach der Zeit im KZ entschloss sich Manfred auszuwandern. Seinem Vater gelang es, ein Einreisevisum für Kuba zu erlangen. Am 12. Mai 1939 brach er von Hamburg aus mit über 900 anderen europäischen Jüd:innen auf dem Schiff „St. Louis“ nach Havanna auf. Die kubanische Regierung verweigerte den Emigranten jedoch die Einreise, weshalb das Schiff fünf Tage lang im Hafen von Havanna verbleiben musste. Der Versuch, die USA anzulaufen scheiterte am Widerstand der amerikanischen Regierung unter Präsident Roosevelt. Als bekannt wurde, dass das Schiff wieder Europa ansteuern würde, kam es unter den Passagieren zu Verzweiflungsausbrüchen, auch zu Suiziden. Schließlich erklärten sich Belgien, die Niederlange, Frankreich und das Vereinigte Königreich dazu bereit, Flüchtlinge der St. Louis aufzunehmen. Manfred Frank gehörte zu den 287 Personen, die nach England kommen konnten. Während der Kriegszeit lebten Manfred Frank und sein mitgereister Vetter Eduard Neumann in Sheffield. Nach Ende des Krieges wanderten sie schließlich nach New York aus.
Die nationalsozialistische Gesetzgebung erhöhte den Druck auf die jüdische Bevölkerung, ihre Geschäfte zu verkaufen. So sah sich Samuel Frank im Dezember 1938 gezwungen, sein Familiengeschäft zu verkaufen. Als Käufer traten sein ehemaliger Angestellten Paul Otto zusammen mit Elfriede Roßkamp aus Essen auf. Die Familie bekam das Geld jedoch nie, da sich der Verkaufserlös bei einem Sperrkonto in der Amtssparkasse Weidenau befand.
Inge Frank, das jüngste Kind, war bei ihren Eltern in Weidenau geblieben. Wie ihre ältere Schwester besuchte Inge das Mädchenlyzeum in Siegen, welches sie 1936 verließ. Ab 1939 begann sie im Israelitischen Kinderheim in Köln eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester. Sie pflegte auch den Sohn der benachbarten Familie Fries, die zu Franks ein vertrauensvolles Verhältnis hatten. Ihre Freundinnen berichten, dass Inge sich nach ihrem Abgang aus der Schule immer mehr zurückzog. Die Isolation der jüdischen Menschen aus der Gesellschaft erreichte mit der Verordnung zum Tragen des gelben Stern einen Höhepunkt. Eine ehemalige Klassenkameradin von Inge erzählt: “Für Inge wurde es immer schlimmer. Sie musste später auch die Schule in Siegen verlassen, weil sie Jüdin war. Als ich sie einmal auf der anderen Straßenseite sah, lief ich zu ihr rüber und umarmte sie, weil ich sie wochenlang nicht gesehen hatte. Sie sagte zu mir: Geh wieder rüber, sonst bekommst du Unannehmlichkeiten!”


Am 28. April 1942, zehn Tage nach Paula Franks 52. Geburtstag, sollten sich Samuel, Paula und Inge Frank am Siegener Hauptbahnhof einfinden. Von dort wurden sie in das Ghetto Zamość im südöstlichen Polen deportiert. Die Freundin und Nachbarin der Franks, Ruth Fries erzählt, Inge habe sich am Vorabend vor der Deportation noch mit ihrem Freund Heinz Lennhoff aus Netphen verlobt. Die jüdische Familie Lennhoff wurde am 27. Februar 1943 ebenfalls deportiert.
Der Kontakt mit der Familie Fries blieb jedoch auch nach der Deportation noch eine Zeit bestehen. Inge schrieb an Wilhelm Fries, dass sie in Zamosc in einem Pferdelazarett tätig sei. Was danach aus den Franks wurde, ist unbekannt. Vermutlich wurden Inge und ihre Eltern im Laufe der Zeit in ein Vernichtungslager deportiert und dort ermordet.
Manfred Frank heiratete in New York eine aus Frankfurt am Main stammende Jüdin. Ihre Ehe blieb kinderlos. Manfred starb 1961 während einer Autofahrt an einem Herzinfarkt.
Ruth Frank nahm sich nach dem Tod ihres Sohnes Morton das Leben.
Am 9. Juli 1975 wurde die Giersbergstraße in Weidenau in Samuel-Frank-Straße umbenannt. Dies ist eine symbolische Anerkennung Samuel Franks und seiner Familie. Sie erinnert an die Leerstelle, die durch Zerstörung, Verfolgung und Mord der Nazionalsozialist:innen in Weidenau und in ganz Deutschland entstand.
Die Stolpersteine für Samuel, Paula und Inge Frank an der ehemaligen Friedrichstraße 8 wurden am 3. November 2007 verlegt.