Das ganze Ausmaß der Zerstörungen am Kriegsende in Siegen haben Kameraleute der US-Army am 8. Mai 1945 auf Celluloid festgehalten.
Vom Giersberg schwenkt die Kamera von der Ober- zur Unterstadt bis zur Sieghütte.
Einen Tag später, am 9. Mai 1945, sind die Aufnahmen von der in der Nähe des Charlottenbunkers beginnenden Siegesparade der US-Army und der Alliierten entstanden.
Die wenigen deutschen Zivilisten, die vor den Häusern im Hintergrund zu sehen sind, beobachten das Geschehen zurückhaltend.
Hier ist zu sehen, wie die Siegesparade an mehreren alliierten Offizieren und Vertretern der aus den Lagern entlassenen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen an der Kreuzung Hammerstraße/Koblenzer Straße vorbeizieht.
Nach vielen Monaten der Unterdrückung und Drangsalierung erleben sie diese Tage als Befreiung.
Die 2. Filmrolle vom 9. Mai 1945 zeigt die Siegesparade auf ihrem Weg durch die Unterstadt. Hier rücken vermehrt deutsche Zivilisten ins Bild, von denen viele das Kriegsende offenbar weniger als Befreiung, sondern als Niederlage erleben.
Beim Einschwenken der Parade in die Bahnhofstraße sind im Hintergrund das Kölner Tor und die Kölner Straße mit dem Ausmaß der Zerstörungen zu sehen.
Über die behelfsmäßig errichtete Siegbrücke zieht die Parade in die Bahnhofstraße.
Siegens Oberbürgermeister Alfred Fissmer ist am 24. April 1945 von den Briten aus dem Amt entlassen worden – formal begründet als ein freiwilliges Ausscheiden aus gesundheitlichen Rücksichten.
Als neuer Oberbürgermeister wurde der Sozialdemokrat Fritz Fries eingesetzt, der seit dem 16. April das Amt des Landrats ausübte. Als Repräsentant der in der NS-Zeit verbotenen SPD galt er der Besatzungsbehörde als politisch zuverlässig und fähig.
Fritz Fries hatte bereits am 20. April 1945 auf der ersten politischen Kundgebung nach dem Ende der NS-Diktatur gesprochen – vor 4.000 Menschen im Charlottenbunker. Seitdem fanden dort politische Versammlungen und wenig später auch Kulturveranstaltungen statt.
Im Februar 1946 erhielt Rudolf Meier von Militärregierung und Stadtverwaltung die Erlaubnis, im zur Charlottenstraße gelegenen Teil des Bunkers ein Lichtspieltheater einzurichten. Mit der Planung und Bauausführung hatte er den Architekten Günther Reichert beauftragt.
Die aufwendigen Umbauarbeiten begannen im Mai und waren im November 1946 abgeschlossen. Die Kosten für das mit 530 Sitzplätzen ausgestattete Kino waren auf 30.000 Reichsmark kalkuliert. Vom Eingang über die Sitzreihen bis zu Bühne und Technikraum war das Kino 50 Meter lang, knapp ein Drittel gesamten Bunkers.
Die Charlotten-Lichtspiele, in denen hauptsächlich die neuesten Hollywood-Blockbuster gezeigt wurden, erfreuten sich besonders bei jungen Besuchern großer Beliebtheit.
O-Ton Erhard Schlabach (2005): „Die ersten Filme, die wir sehen konnten, die waren dann wiederum hier in Siegen, und zwar in dem damaligen Charlottenbunker. Meine damalige Freundin ging zur Berufsschule hier in Siegen, da ich zu dem Zeitpunkt noch nicht arbeiten konnte, habe ich sie dann abgeholt und dann gingen wir regelmäßig in den Charlottenbunker ins Kino.“
Den zur Eiserfelderstraße gelegenen rückwärtigen und größeren Teil des Bunkers vermietete die Stadt Siegen weiterhin für politische und Kulturveranstaltungen jeglicher Art. Die durch die Seiteneingänge an der Charlottenstraße hereingelassenen Besucher durften dabei den Betrieb des Kinos nicht stören.
Die Sportfreunde Siegen beispielsweise nutzten den Saal ab dem Frühjahr 1948 zu Trainingszwecken und führten hier bis in die 1950er Jahre Boxveranstaltungen mit mehr als 1.000 Besuchern durch.
Heute ist der Eingang an der Charlottenstraße verschlossen, hinter dem Eingang an der Eiserfelder Straße befindet sich das Streusalzlager der Stadt Siegen.
Idee, Konzept, Drehbuch, technische Ausführung: Dieter Pfau
Sprecher: Torsten Föllmer, Sprachaufnahmen: Marcel Barion